„Keine Migrationskrise“. Diese beiden Wörter habe ich mal interessehalber als Begriffspaar bei Google eingegeben und genau 52 Treffer für das Jahr 2024 erhalten. Zum Vergleich habe ich dann einmal das „keine“ weggelassen und nur nach „Migrationskrise“ gesucht – und siehe da: fast 19.000 Treffer. Das ist natürlich kein wissenschaftliches Verfahren. Aber es zeigt, dass es kaum noch Widerspruch gegen die Behauptung gibt, dass wir in Deutschland ein ernsthaftes und akutes Migrationsproblem hätten.
Inzwischen scheinen alle Dämme gebrochen zu sein, täglich wird ein neuer „Vorschlag“ für mehr Abschiebungen, Gängelung und Schikanierung von Flüchtlingen aus der politischen Jauchegrube in die Talkshows, Pressekonferenzen und Feuilletons dieser Republik gespült. Wer da nicht mitmachen will, wird von irgendwelchen Ulfs, Gabors, Annas oder Uwes in Zeitungskolumnen als dumm, naiv und weltfremd dargestellt. Dabei treffen diese Zuschreibungen eigentlich eher auf die intellektuelle Tiefstapelei zu, die an diesen „liberal“-konservativen Print- und Digitalprangern betrieben wird.
Die Grünen können auf der rechten Spur nicht gewinnen
Selbst den Grünen, die sich wohl wie kaum eine andere Partei darum bemüht haben, keinen Vorwand zu liefern, um von diesen Gestalten als dumm, naiv oder weltfremd hingestellt zu werden, wird am Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, von einem der genannten Kolumnisten vorgeworfen, „sich in die Höhen der Moral zu flüchten“. Ein wiederum anderer Kommentator schreibt: „Die Grünen haben sich zu den nahezu bedingungslosen Fürsprechern der Migranten in Deutschland entwickelt.“ Natürlich wissen diese Leute ganz genau, dass die Grünen in Regierungsverantwortung am Ende so ziemlich jede migrationsfeindliche Schweinerei mittragen werden oder schon mitgetragen haben. Und zwar im Bundesrat, im Bundestag, in der Bundesregierung und auf europäischer Ebene. Das fängt bereits 1993 mit der Zustimmung der hessischen Grünen im Bundesrat unter Joschka Fischer zur als „Asylkompromiss“ bezeichneten Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl an, geht über die Ausweitung der Liste angeblich „sichererer Drittstaaten“ bis zur Einführung schikanierender Bezahlkarten.
Im Windschatten der Rechtsextremen
Und wie zu Zeiten des erwähnten „Asylkompromisses“ fährt dieses reaktionäre Milieu auch heute im Windschatten der Rechtsextremen. Als damals die rassistische Gewalt explodierte und die rechtsextremen Republikaner im Aufwind waren, sah man in der Union und in der Springer-Presse nicht diese beiden Entwicklungen als Hauptproblem. Vielmehr nutzte man die Gunst der Stunde, um ebenfalls gegen „Ausländer“ und „Asylanten“ zu hetzen und die noch zögernde oppositionelle SPD zur Zustimmung zu einer Verfassungsänderung zu bewegen. So titelte die „Welt am Sonntag“: „Die Sozialdemokraten wollen das Grundrecht auf Asyl zum Fetisch stempeln. Bei mehr als 90 Prozent Schwindlern kann sich das zur existentiellen Bedrohung unseres Sozialwesens auswachsen.“
Kaum ein Unterschied zur AfD
Damals wie heute ist der konservative Teil der politischen und medialen Elite bestrebt, jeden noch so zaghaften Widerstand und Widerspruch lächerlich oder gar unmöglich zu machen. Letztlich unterscheiden sich die Wunschvorstellungen vieler Konservativer gar nicht so sehr von dem, was die AfD auf ihrem Deportationstreffen ausgeheckt hat. Es geht ihnen nicht darum, ob einzelne Maßnahmen in Zukunft islamistischen Terror wie in Solingen oder Mannheim verhindern. Denn sonst stünde im Mittelpunkt der Debatte, wie islamistische Inhalte im Internet besser bekämpft und Programme zur Radikalisierungsprävention gestärkt werden können. In Wirklichkeit geht es darum, eine kulturell möglichst homogene Gesellschaft zu schaffen.
Linkes Agenda Setting
Wir müssen endlich begreifen, dass es der Union und ihrem Vorfeld (und erst recht dem Nazipack der AfD) nicht um die Lösung der real existierenden Probleme geht. Ihnen geht es darum, bei jeder Gelegenheit gegen Menschen zu hetzen, die sie hier nicht haben wollen. Dieses Spiel sollten wir nicht länger mitspielen. Die KPÖ in Österreich hat eindrucksvoll gezeigt, wie man den Diskurs nach links verschieben kann, indem man sich auf sozialpolitische Themen wie Wohnen und Mieten konzentriert und die Menschen vor Ort in ihren Alltagssorgen unterstützt. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern manchmal erst nach Jahren harter Arbeit. Grüne und SPD wären gut beraten, die Konservativen rechts liegen zu lassen und selbst wieder den Mut zum Agenda Setting aufzubringen. Eine Parteienlandschaft voller CDU- oder gar AfD-Klone braucht niemand.
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